Die Einführung exotischer Orchideen in Europa ist eine Geschichte von Abenteurern, Pflanzenjägern und skrupellosen Geschäftemachern. Sie erzählt von Sammlerleidenschaft, Fernweh und Geltungsbedürfnis. Um in ihren Besitz zu gelangen sind viele Menschen gestorben. Andere haben unermessliche Summen bezahlt. Manche Orchideen sind vom Aussterben bedroht, andere werden als Massenware produziert.

Versetzen wir uns in das Zeitalter des 18./19. Jahrhunderts. Es ist die Zeit der Aufklärung. Die Französische Revolution ist beendet, die Industrialisierung steckt in den Kinderschuhen. Die vorherrschende Macht des Adels bröckelt zugunsten eines aufstrebenden Bürgertums. Der Bedarf an Bildung ist groß und weckt Sehnsucht nach fernen Ländern. Es ist die große Zeit der Entdecker.

Paphiopedilum curtisii

Aufbruch in eine neue Welt

Wagemutige Kapitäne und ihre Mannschaften stachen in See und erkundeten mit ihren großen Segelschiffen die Welt. Meist dauerten ihre Expeditionen über mehrere Jahre, und die Reise ging oft ins Ungewisse. So wurde Ende des 19. Jahrhunderts der Schwede Ericksson im Auftrag der Firma Sander nach Sumatra geschickt, um den Frauenschuh Paphiopedilum curtisii zu finden. Fünf Jahre lang suchte er vergeblich, bis sein Blick eines Morgens in einer Berghütte auf eine Wandzeichnung fiel: Inmitten von Kritzeleien ehemaliger Besucher entdeckte er eine Zeichnung der gesuchten Pflanze. Er verlängerte seinen Aufenthalt und forschte weiter. Erst einen Tag vor seiner Abreise brachte ihm ein Mitarbeiter das Objekt seiner Begierde.

Geschichte der exotischen Orchideen in Europa
James Cook – berühmter Entdecker und Seefahrer seiner Zeit

Überall lauern Gefahren

Auf See raffte Skorbut während der monatelangen Überfahrten ganze Mannschaften dahin. Unwetter und Riffe in unbekannten Gewässern, aber auch Piraten ließen Schiffe untergehen. Hatte man endlich wieder festen Boden unter den Füßen, mussten sich die Reisenden mit den Einheimischen auseinandersetzen. Nicht alle waren friedlich, James Cook starb bei seiner dritten Expedition durch den Speer eines Hawaiianers. Tropische Krankheiten waren eine Herausforderung für das europäische Immunsystem und forderten viele Todesfälle.

Geschichte der exotischen Orchideen in Europa
Kew Garden

Exotische Pflanzen für die Oberschicht

Doch trotz aller Unwägbarkeiten schafften es viele Entdecker nach Hause zurück und brachten exotische Pflanzen mit. Ihre Reiseberichte waren bei den Daheimgebliebenen eine sehr beliebte Lektüre und „Botanisieren“ wurde zum angesehenen Zeitvertreib der Oberschicht. Es entstanden botanische Forschungsgärten wie Kew Garden. Vor allem die englische Krone schickte immer mehr Botaniker auf Reisen, um Nutz- und Zierpflanzen in heimische Gefilde zu bringen.

Geschichte der exotischen Orchideen
Die Bounty – Filmklassiker mit historischem Hintergrund

Meuterei auf der Bounty

Als im Dezember 1787 die Besatzung der Bounty in Spithead an Bord ging ahnte noch niemand, dass sie einmal eine traurige Berühmtheit wegen Meuterei erlangen sollte. Ebenfalls an Bord stieg der Botaniker Nelson mit dem Auftrag, 600 Brotbäume von Tahiti nach England zu bringen. Er war früher schon auf der dritten Expedition von James Cook mitgefahren, der übrigens Käpt´n Blighs Ausbilder war. Nelson gehörte zu den 18 Personen, die während der Meuterei in einer Barkasse ausgesetzt wurden, weil sie gegenüber Kapitän Bligh loyal geblieben waren. Der ehemalige Kew Garden Mitarbeiter überlebte die strapaziöse Reise im offenen Boot, starb aber dann an den Folgen dieser Reise.

Brassavola nodosa

Erste Orchideen in Europa

1615 erblühte die erste exotische Orchidee in Europa, und zwar in Holland. Es war eine aus Mittelamerika stammende Brassavola nodosa. 1688 kam die erste Disa uniflora aus Südafrika nach England. 1731 brachte ein zurückkehrender Missionar die erste Orchidee von den Bahamas mit. Weitere Schiffe aus Asien und Amerika hatten Orchideen an Bord. Das Interesse war geweckt und die ersten Orchideensammlungen entstanden.

Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=784021

Ward´scher Kastensteigert Überlebensquote

Nur ein Bruchteil der geladenen Pflanzen überlebten die lange Rückfahrt. Manchmal nur eine von Tausend. Das änderte sich schlagartig mit der Erfindung des englischen Arztes Nathaniel Ward. Er entwickelte 1834 den Prototyp des heutigen Gewächshauses mit geschlossenem Wasserkreislauf. In diesem Ward´schen Kasten konnten nun auch empfindliche Pflanzen wie Farne und Orchideen schadlos transportiert werden.

Cattleya labiata
So ähnlich sah Cattleys Entdeckung wohl aus

William Cattleys zufällige Entdeckung

Anfang des 19. Jahrhunderts erhielt der Engländer William Cattley eine tropische Pflanzensammlung. Steife Blätter mit dicken harten Stielen dienten als Verpackungsmaterial. Neugierig geworden warf er es nicht weg, sondern kultivierte es. Und so zeigte im November 1818 die erste Pflanze eine wunderschöne große rosa Blüte mit intensiv gefärbter trompetenförmiger Lippe. Die Pflanze wurde zur Sensation und löste ein regelrechtes Orchideenfieber aus. Zu Ehren ihres Entdeckers wurde die Pflanze Cattleya labiata genannt.

Das Orchideenfieber breitet sich aus

Wer sich mit Orchideen umgab, galt als weltgewandt. So avancierten die Exoten zu Prestigeobjekten reicher Bürger. Die Nachfrage nach neuen Pflanzen stieg und verkam zur skrupellosen Geschäftemacherei. Immer mehr „Orchideenjäger“ wurden in die neue Welt geschickt, wo sie rücksichtslos Naturbestände zerstörten und rafften, was nur ging. Viele Arten wurden vom Aussterben bedroht. Andererseits stiegen die Preise für Orchideen in Europa ins Unermessliche: So wurde 1903 ein „Stern von Kolumbien“ für heute umgerechnet 150.000 Euro verkauft.

Bildnachweis: http://www.cattleya-blue.de

Künstliche Vermehrung schont Naturstandorte

Das Problem war, dass man nicht wusste, wie man Orchideen im größeren Stil vermehren konnte. Zwar bildeten sie Samenkapseln, doch die Anzucht wollte nicht gelingen. Erst als man den Zusammenhang zwischen Fadenpilz und Samenkeimung herausfand, konnte man in Europa kommerziell nutzbare Ergebnisse in der Vermehrung erzielen. Dadurch verringerte sich die Einfuhr aus den Ursprungsländern deutlich. Es entstanden viele neue Kulturhybriden.

Durch moderne Klontechnik können heute gängige Arten für jedermann bezahlbar angeboten werden. Seltene dagegen werden nach wie vor gesucht, teilweise illegal ausgeführt und teuer bezahlt.

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